CBD im Test: Wie reagiert das Gehirn auf Alkoholanreize?

Wie beeinflusst CBD Öl das Verlangen nach Alkohol? Das sagen aktuelle Studien

Inhaltsverzeichnis

Alkohol ist allgegenwĂ€rtig. Gesellschaftlich akzeptiert, leicht verfĂŒgbar und fĂŒr viele ein selbstverstĂ€ndlicher Teil des Alltags. Doch wo fĂŒr die einen Genuss beginnt, fĂ€ngt fĂŒr andere das Problem an. Alkoholkonsumstörungen gehören zu den am weitesten verbreiteten Suchterkrankungen – mit oft verheerenden Folgen fĂŒr die betroffenen Familien und ihr Umfeld.

Eine aktuelle klinische Studie des Zentralinstituts fĂŒr Seelische Gesundheit in Mannheim (ICONIC-Studie, 2024) untersuchte, wie sich eine einmalige Gabe von 800 mg Cannabidiol (CBD) auf alkoholbezogene Reize bei Menschen mit AlkoholabhĂ€ngigkeit auswirkt. Im Fokus standen zwei zentrale MessgrĂ¶ĂŸen: Der sogenannte Suchtdruck (engl. craving) sowie die AktivitĂ€t im Nucleus accumbens – einem Gehirnareal, das eine SchlĂŒsselrolle bei Suchterkrankungen spielt.

Wie viel CBD wurde in der Studie verabreicht?

In der ICONIC-Studie erhielten die Teilnehmenden einmalig 800 mg CBD in Kapselform. Diese Dosis wurde nicht ĂŒber mehrere Tage eingenommen, sondern gezielt im Rahmen der Untersuchung verabreicht.

Zum Vergleich: Ein CBD-Öl mit 20 % Konzentration enthĂ€lt 200 mg CBD pro Milliliter. Ein Tropfen dieses Öls liefert etwa 10 mg CBD. 800 mg CBD entsprechen also rund 80 Tropfen eines 20 %-Öls – das sind etwa 4 Milliliter Öl auf einmal.

In der kontrollierten Untersuchung wurde CBD mit einem Placebo verglichen. Die Teilnehmenden wurden gezielt Alkohol- und Stressreizen ausgesetzt, wÀhrend parallel der Suchtdruck gemessen und mithilfe funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) die GehirnaktivitÀt aufgezeichnet wurde.

Die Ergebnisse zeigen statistisch signifikante Unterschiede zwischen der CBD- und der Placebo-Gruppe – sowohl beim subjektiv empfundenen Suchtdruck als auch bei der neuronalen Reaktion auf alkoholbezogene Reize. Diese Befunde liefern Hinweise auf mögliche neurobiologische Wirkmechanismen von CBD im Zusammenhang mit AlkoholabhĂ€ngigkeit. Aussagen ĂŒber eine therapeutische Wirksamkeit lassen sich daraus jedoch nicht ableiten.

CBD gegen Alkoholsucht: Was sagt die ICONIC-Studie?

1. Reduzierte Aktivierung im Nucleus accumbens bei Alkoholkonsum-Reizen

Die ICONIC-Studie konnte zeigen, dass die einmalige Gabe von 800 mg CBD bei alkoholabhĂ€ngigen Personen zu einer deutlich geringeren Aktivierung im sogenannten Nucleus accumbens fĂŒhrte – und zwar dann, wenn die Teilnehmenden Alkoholreizen ausgesetzt waren. Diese Hirnregion gilt als zentrale Schaltstelle fĂŒr Suchtdynamiken, da sie stark an der Verarbeitung von Belohnungsreizen beteiligt ist.

Die Ergebnisse wurden mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) erfasst. Die Teilnehmer durchliefen eine standardisierte Cue-Reactivity-Aufgabe im Scanner, bei der ihnen alkoholbezogene und neutrale Reize gezeigt wurden. Dabei zeigte sich:

„Individuals receiving CBD showed lower brain activation in the bilateral NAc compared to those receiving placebo (pFWE left NAc = 0.001, right NAc = 0.002). [
] Analyses of the extracted mean NAc activation for the contrast 'alcohol–neutral' showed large effects of the pharmacological intervention on left (t(23) = 4.906, p < 0.001, d = 1.15) and right NAc activation (t(23) = 4.873, p < 0.001, d = 1.13).“

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass CBD die neuronale Reaktion auf Alkoholreize dĂ€mpfen kann – zumindest kurzfristig und unter experimentellen Bedingungen.

2. Weniger Alkoholverlangen nach Stress- und Reizexposition

Neben den Hirnscans untersuchte die ICONIC-Studie auch, wie stark das subjektive Verlangen nach Alkohol (Fachbegriff: Suchtdruck) ausfiel. DafĂŒr wurde der sogenannte „Alcohol Urge Questionnaire“ (AUQ) eingesetzt – ein standardisiertes Messinstrument, das das momentane Verlangen nach Alkohol anhand mehrerer Fragen erfasst.

Gemessen wurde vor und nach einer kombinierten Stress- und Alkoholverlangen-induzierenden Testphase. Diese bestand aus dem Trier Social Stress Test (TSST) sowie einem Aufenthalt in einer Bar-Laborumgebung mit alkoholbezogenen Reizen. Das Ergebnis:

„There was a significant main effect of treatment group and interaction between treatment and time on AUQ scores (Fgroup(1,26)= 4.516, p = 0.043, ηÂČ = 0.15; Fgroup × time(1,26) = 5.648, p = 0.025).“

WÀhrend Teilnehmende der Placebo-Gruppe einen deutlichen Anstieg des Alkoholverlangens verzeichneten, fiel dieser Anstieg bei den CBD-Probanden wesentlich geringer aus. Im Klartext: Die Einnahme von CBD war in dieser spezifischen Situation mit einem abgeschwÀchten Suchtdruck verbunden.

Allerdings: Die Studie erfasst nur eine Momentaufnahme – also die Wirkung kurz nach einmaliger Einnahme von CBD in einem experimentellen Kontext.

3. Geringeres Alkoholverlangen auch wÀhrend der Hirnscan-Aufgabe

ZusÀtzlich zur Stress- und Reizexposition untersuchten die Forschenden das Alkoholverlangen wÀhrend einer sogenannten fMRT-Cue-Reactivity-Aufgabe. Dabei werden den Teilnehmenden abwechselnd neutrale und alkoholbezogene Bilder prÀsentiert, wÀhrend mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) GehirnaktivitÀt und gleichzeitig das subjektive Verlangen erfasst werden.

Die Teilnehmenden mussten nach jedem Bildblock angeben, wie stark ihr momentanes Verlangen nach Alkohol war – auf einer Skala von 0 („kein Verlangen“) bis 100 („sehr starkes Verlangen“). Auch hier zeigte sich ein deutlicher Unterschied zwischen CBD- und Placebo-Gruppe:

„There was also a significant main effect of the treatment group on craving during alcohol picture blocks (Fgroup(1,24) = 6.665, p = 0.015, ηÂČ = 0.23, mean difference score = 22.028).“

Das bedeutet: Teilnehmende, die CBD erhalten hatten, berichteten wĂ€hrend der alkoholbezogenen Bildblöcke ein signifikant geringeres Verlangen nach Alkohol im Vergleich zur Kontrollgruppe. Der Unterschied ist nicht nur statistisch bedeutsam, sondern auch praktisch relevant – immerhin lag die durchschnittliche Differenz bei ĂŒber 22 Punkten auf der Skala.

Wichtig dabei: Dieser Effekt trat ausschließlich bei alkoholbezogenen Reizen auf – bei neutralen Bildern zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen. Das spricht fĂŒr eine selektive Wirkung im Kontext alkoholassoziierter Reize.

4. Je mehr CBD im Blut, desto geringer das Verlangen

Ein besonders aufschlussreicher Teil der Studie betrifft die gemessenen CBD-Plasmaspiegel. Etwa drei Stunden nach der Einnahme wurden bei allen Teilnehmenden Blutproben genommen, um zu ermitteln, wie viel CBD tatsÀchlich im Körper angekommen war. Diese Werte variierten teils stark zwischen den Personen, was vermutlich an der individuellen Verarbeitung des Wirkstoffs liegt.

Spannend wird es bei der Frage, ob die Höhe des CBD-Spiegels mit den beobachteten Effekten zusammenhĂ€ngt – und genau das zeigen die Daten:

„CBD levels were negatively correlated with cue-induced left and right NAc activity during fMRI [
] and with alcohol craving during the fMRI alcohol cue-reactivity task.“
(rleft NAc = −0.459, pFDR = 0.030; rright NAc = −0.405, pFDR = 0.030; rcraving fMRI = −0.389, pFDR = 0.030)

Die Forscher fanden also eine statistisch signifikante negative Korrelation: Je höher der CBD-Wert im Blut, desto geringer war die AktivitĂ€t im Belohnungszentrum (Nucleus accumbens) bei alkoholbezogenen Reizen – und desto weniger stark war auch das berichtete Verlangen nach Alkohol.

Auch das subjektive Verlangen nach der Stress- und Reizexposition stand in Zusammenhang mit dem CBD-Spiegel:

„We observed a significant negative correlation between CBD levels and AUQ craving scores after the combined stress- and alcohol cue exposure session (r = −0.394, pFDR = 0.030).“

Diese Korrelationen sprechen dafĂŒr, dass die beobachteten Effekte tatsĂ€chlich mit der aufgenommenen Wirkstoffmenge zusammenhĂ€ngen – und nicht bloß auf Placebo oder Zufall beruhen.

5. Weniger AktivitĂ€t im Belohnungszentrum – spezifisch bei Alkoholverlangen

Das sogenannte cue-induced craving – also das durch Reize wie Alkoholbilder ausgelöste Verlangen – hat eine klare Entsprechung im Gehirn: Der Nucleus accumbens (NAc), ein zentraler Teil des Belohnungssystems, reagiert messbar auf solche Reize. Genau hier setzt die ICONIC-Studie an.

Die Forscher verglichen die GehirnaktivitĂ€t von Teilnehmenden nach CBD- und Placebo-Einnahme mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT). Dabei wurde gezielt gemessen, wie stark der NAc auf AlkoholverknĂŒpfte Bilder reagiert.

Das Ergebnis war eindeutig:

„Individuals receiving CBD showed lower brain activation in the bilateral NAc compared to those receiving placebo [
]. Analyses of the extracted mean NAc activation for the contrast 'alcohol – neutral' showed large effects [
] left NAc: t(23) = 4.906, p < 0.001, d = 1.15; right NAc: t(23) = 4.873, p < 0.001, d = 1.13.“

Die CBD-Gruppe zeigte also eine deutlich reduzierte AktivitĂ€t im NAc, wenn sie mit alkoholbezogenen Bildern konfrontiert wurde – im Gegensatz zur Placebo-Gruppe. Die statistische Signifikanz ist hier hoch, und auch die EffektstĂ€rken (Cohen’s d > 1) gelten als groß.

Wichtig ist: Dieser Effekt war spezifisch fĂŒr Alkoholreize. Bei neutralen Bildern zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen:

„No effects of CBD on brain activation in other brain areas were observed [
] The analyses of block-wise activation values for the eight neutral picture blocks showed no significant main effect.“

Diese SpezifitĂ€t spricht gegen eine allgemeine DĂ€mpfung oder Beruhigung durch CBD – und fĂŒr eine gezielte Wirkung auf alkoholbezogene Reize im Belohnungssystem.

6. Geringeres Alkoholverlangen nach kombinierter Stress- und Reizexposition

Auch nach einer gezielten Kombination aus sozialem Stress und Alkoholreizen zeigte sich ein messbar geringeres Alkoholverlangen bei den Teilnehmenden, die CBD erhalten hatten.

Die Probanden wurden zunĂ€chst mit einer bewĂ€hrten Stressaufgabe konfrontiert – dem Trier Social Stress Test – und anschließend in eine realitĂ€tsnahe Barsituation gefĂŒhrt, in der sie mit alkoholbezogenen Reizen konfrontiert wurden. Diese Kombination diente dazu, das Alkoholverlangen unter möglichst lebensnahen Bedingungen zu provozieren.

Das Verlangen wurde unmittelbar vor und nach der Stress-/Reizexposition mit dem Alcohol Urge Questionnaire (AUQ) erhoben, einem validierten Fragebogen, der typische Dimensionen des Alkoholverlangens abbildet.

„Individuals receiving PLC reported a significantly greater increase in alcohol craving from before to after the combined stress- and alcohol cue exposure (mean difference score = 14.928) compared to participants receiving CBD (mean difference score = 4.857).“
(Zimmermann et al., 2024)

WĂ€hrend in Abschnitt 3 das Alkoholverlangen unter isolierten Bildreizen im Hirnscanner gemessen wurde, geht es hier um eine komplexere Alltagssituation mit psychischem Druck und in einer nachgebauten Bar. Die Belastung ist höher – und dennoch zeigt sich auch hier eine spĂŒrbare Reduktion des Verlangens durch CBD. Das spricht dafĂŒr, dass die Wirkung nicht nur im Labor-Setting greift, sondern auch unter realitĂ€tsnĂ€herem Stress.

Wo ist der Haken an der Studie?

Die ICONIC-Studie liefert interessante Hinweise darauf, wie Cannabidiol (CBD) das alkoholbezogene Verlangen und die AktivitÀt im Belohnungssystem des Gehirns beeinflussen kann. Doch wie bei jeder klinischen Untersuchung ist es wichtig, die Ergebnisse im Kontext der Studiendesigns und -grenzen einzuordnen. Mehrere Punkte verdienen besondere Aufmerksamkeit:

Kleine Fallzahl und Einmalgabe

Die Studie wurde mit nur 28 Teilnehmenden durchgefĂŒhrt, wovon 25 fĂŒr die Bildgebung berĂŒcksichtigt wurden. Eine so geringe Stichprobe kann zwar statistisch signifikante Ergebnisse liefern, birgt jedoch ein erhöhtes Risiko fĂŒr Zufallseffekte. Zudem wurde CBD nur einmalig verabreicht, sodass keine Aussagen ĂŒber mögliche Langzeitwirkungen oder den Effekt bei regelmĂ€ĂŸiger Einnahme getroffen werden können.

Alle Probanden hatten zwar eine diagnostizierte Alkoholgebrauchsstörung, befanden sich aber nicht in Behandlung und hatten keine Abstinenzmotivation. Es bleibt offen, ob CBD bei therapiewilligen Personen mit einem anderen Krankheitsverlauf Àhnliche Effekte zeigt.

Experimentelle Studiensituation mit begrenzter Alltagstauglichkeit

Die Studie arbeitete mit einer Kombination aus standardisiertem sozialem Stress (Trier Social Stress Test) und einer alkoholbezogenen Reizexposition in einem nachgebauten Barraum. Dieses Design ermöglicht eine kontrollierte Erfassung von Alkoholverlangen unter realitĂ€tsnahen Bedingungen – ist aber dennoch weit entfernt vom komplexen Alltag. Ob die beobachteten Effekte auch bei spontanen Auslösern außerhalb des Labors auftreten, etwa bei Stress im Beruf oder in sozialen Kontexten, bleibt offen.

Homogene Probandengruppe

Die Studienteilnehmenden waren ĂŒberwiegend weiß, jung bis mittelalt und körperlich gesund. Damit bleibt offen, ob sich die Ergebnisse auf andere Bevölkerungsgruppen ĂŒbertragen lassen, etwa auf Ă€ltere Menschen, Frauen, Personen mit komorbiden Erkrankungen oder behandlungsbedĂŒrftige Schwerbetroffene.

Fazit

Die ICONIC-Studie ist ein erster Schritt zur wissenschaftlichen Bewertung von CBD bei AlkoholabhĂ€ngigkeit. Sie zeigt kurzfristige Effekte auf HirnaktivitĂ€t und Verlangen, liefert aber noch keine belastbaren Aussagen zur therapeutischen Wirksamkeit. Weitere Studien mit grĂ¶ĂŸeren, heterogeneren Probandengruppen und lĂ€ngerer Beobachtungsdauer sind notwendig, um den tatsĂ€chlichen klinischen Nutzen von CBD bei AlkoholabhĂ€ngigkeit zu beurteilen. 

Quellen und Studien

[1] S. Zimmermann et al. (Dez. 2024). „Cannabidiol reduziert das Verlangen nach Alkohol und die durch Reize ausgelöste Aktivierung des Nucleus Accumbens bei Personen mit Alkoholkonsumstörung“ in Molecular Psychiatry. Link zur Studie

[2] H. Harris & Y. Peng (Okt. 2019). „Belege fĂŒr die Beteiligung des Nucleus Accumbens an der Schmerzverarbeitung“ in Neural Regeneration Research. Link zur Studie

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Über den Autor

Markus Seyfferth

Markus Seyfferth bespricht auf Herbaleafs.com regelmĂ€ĂŸig aktuelle Studien zu CBD und medizinischem Cannabis und bewertet deren Aussagekraft kritisch. Besonderen Wert legt er auf eine sorgfĂ€ltige Analyse der Methodik und Ergebnisse, um Leserinnen und Lesern eine fundierte EinschĂ€tzung zu ermöglichen. Dabei untermauert er die Aussagen stets mit Originalzitaten oder Zahlen der Studien, um den aktuellen Stand der internationalen Forschung möglichst transparent und differenziert wiederzuspiegeln. Bitte beachten Sie auch unseren Haftungsausschluss zu medizinischen Themen.