
Mit Familie & Freunden teilen
Das Endocannabinoid-System (ECS): Ein neuer Hoffnungsträger bei chronischen Erkrankungen?
Inhaltsverzeichnis ▼
Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein komplexes körpereigenes Netzwerk, das bei zahlreichen biologischen Prozessen eine Rolle spielt – darunter das Gleichgewicht von Stimmung, Immunfunktion, Schmerzempfinden und Schlaf.
In ihrer 2021 veröffentlichten und peer-reviewten Übersichtsarbeit mit dem Titel „The Endocannabinoid System: A Potential Target for the Treatment of Various Diseases“ (International Journal of Molecular Sciences, 22(17):9472) ziehen Henry Lowe und sein Forschungsteam eine Linie durch mehrere hundert Einzelstudien und ordnen ein, was bisher bekannt ist. Die Arbeit ist peer-reviewed und gehört damit zu den qualitätsgesicherten Publikationen des Fachjournals. Welche Rolle spielt das Endocannabinoid-System bei chronischen Erkrankungen? Und wie könnten cannabinoide Substanzen – allen voran Cannabidiol (CBD) – in diesen biologischen Ablauf eingreifen?
Die Arbeit analysiert präklinische Daten und ausgewählte Fallstudien zu Krankheitsbildern wie Angststörungen, Epilepsie, Autoimmunerkrankungen, entzündlichen Hautkrankheiten, chronischen Schmerzen oder Krebs.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Frage, wie bestimmte Bestandteile von Cannabis sativa L., insbesondere Pflanzenstoffe wie Cannabidiol (CBD) und Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), mit dem ECS interagieren. Die Autoren analysieren wissenschaftliche Veröffentlichungen und präklinische Daten zu einer Vielzahl von Erkrankungen – darunter Studien von Bergamaschi et al. (2011) zur sozialen Angststörung, von Vučković et al. (2018) zur Schmerzbehandlung sowie von Capano et al. (2019) zur Reduktion des Opioidgebrauchs bei chronischem Schmerz.
1. Wie das Endocannabinoid-System Angst und Depression beeinflusst
Dass das Endocannabinoid-System an der Verarbeitung von Angst beteiligt ist, belegen zahlreiche präklinische Studien. Die von Lowe et al. ausgewertete Arbeit von Bergamaschi et al. (2011) hebt sich durch ein klar umrissenes Studiendesign hervor: 24 unbehandelte Personen mit diagnostizierter sozialer Angststörung erhielten eine einmalige Dosis von 600 mg Cannabidiol (CBD) vor einem standardisierten Redetest. Das Ergebnis: weniger Angst, bessere Leistung, weniger kognitive Blockade.
“There was an improvement in speech performance, a reduction in anxiety, cognitive impairment, and alert anticipatory speech.”
Die zitierten Autoren führen diesen Effekt nicht auf den klassischen CB1-Rezeptor zurück, über den die psychoaktiven Effekte von THC vermittelt werden, sondern auf ein Zusammenspiel mit anderen Rezeptorsystemen. Neben dem Serotonin-5-HT1A-Rezeptor werden auch TRPV1 und – in geringerer Rolle – CB1R genannt. Entscheidend ist dabei nicht die Verortung im klassischen Cannabinoidspektrum, sondern das Zusammenwirken mehrerer Signalwege.
“CBD is postulated to regulate fear and anxiety through interaction with the serotonin 5-HT1A, the TRPV-1 receptor, and... CB1R.”
In präklinischen Modellen wurde darüber hinaus beobachtet, dass CBD emotionale Reaktionen auf Stressoren verändern kann. Dazu zählen reduzierte autonome Stressreaktionen, erleichterte Extinktion konditionierter Angst und verminderte Rückkehr von Angstverhalten. Auch die mögliche Beteiligung von Anandamid, einem körpereigenen Endocannabinoid mit angstlindernden Eigenschaften, wird in der Übersichtsarbeit thematisiert. Laut einer der referenzierten Studien könnte CBD den Anandamid-Spiegel im Hippocampus beeinflussen.

Die Studienautoren widmen sich in einem eigenen Kapitel dem Potenzial des Endocannabinoid-Systems (ECS) im Zusammenhang mit Angststörungen und depressiven Symptomen. Sie führen aus, dass klassische Medikamente in der Behandlung dieser Krankheitsbilder oft nicht die gewünschte Wirkung erzielen und mit Nebenwirkungen verbunden sein. Aus diesem Grund wird in der Übersichtsarbeit das ECS als möglicher neuer therapeutischer Ansatz beschrieben.
Eine zentrale Bedeutung wird dabei dem Cannabinoid Cannabidiol (CBD) beigemessen, das in mehreren präklinischen Studien anxiolytische (angstlösende) Eigenschaften gezeigt hat – ohne die psychoaktive Wirkung von THC.
„There is strong preclinical evidence that supports CBD’s great potential as an anxiolytic, panicolytic, and anti-compulsive agent.“
Zudem wird ein Zusammenhang zwischen genetischen Veränderungen am CB1-Rezeptor und verschiedenen psychischen Erkrankungen beschrieben – darunter Depression, Nikotin- und Alkoholsucht. In präklinischen Modellen zeigte CBD eine Wirkung bei konditionierter Angst, chronischem Stress und Stressverhalten bei Mäusen.
Wichtiger Hinweis: CBD oder medizinisches Cannabis ist kein Ersatz für eine professionelle Krebstherapie. In der klinischen Praxis wird es – wenn überhaupt – ausschließlich ergänzend eingesetzt, etwa zur Linderung von Nebenwirkungen wie Übelkeit, Appetitlosigkeit oder Schmerzen während einer Chemotherapie. Eine Anwendung sollte nur in Absprache mit Ihrem behandelnden Facharzt erfolgen.
2. Chronische Schmerzen: Welche Rolle das Endocannabinoid-System spielt
Chronischer Schmerz betrifft weltweit Millionen Menschen und zählt zu den häufigsten Gründen für eingeschränkte Lebensqualität. Die in der Übersichtsarbeit analysierten Quellen beschäftigen sich mit dem Endocannabinoid-System (ECS) als potenziellem Ansatzpunkt für die Behandlung unterschiedlichster Schmerzformen. Im Fokus stehen dabei sowohl medizinisches Cannabis als auch einzelne Cannabinoide wie Cannabidiol (CBD).
„Both anecdotal and scientific evidence support the use of C. sativa L. and its secondary metabolite for overall pain management... even against chronic pain—both as a stand-alone drug and as an adjuvant.“
Das bedeutet: Die Forschung prüft, ob Cannabinoide bei chronischen Schmerzen eine Rolle spielen, entweder eigenständig (also ohne Opioide oder andere Mittel) oder unterstützend (zusätzlich zu konventionellen Schmerzmitteln). Das unterstreicht deren zunehmende wissenschaftliche Relevanz der in der Schmerzforschung.
Ergebnisse zur Schmerzbehandlung mit medizinischem Cannabis
In der Studie zitieren Lowe et al. unter anderem eine Meta-Analyse von Vučković et al. (2018), die 18 wissenschaftliche Arbeiten auswertete, die zwischen 1975 und März 2018 zur Anwendung von Cannabinoiden bei chronischem Schmerz veröffentlicht wurden. Die Analyse umfasst verschiedene Schmerztypen, darunter neuropathische Schmerzen, Schmerzen im Zusammenhang mit Krebs, Fibromyalgie und postoperative Schmerzen.

Die Auswertung zeigt, dass Cannabinoide in präklinischen Modellen – insbesondere in Tierversuchen – mehrfach schmerzlindernde Eigenschaften gezeigt haben. Als mögliche Wirkmechanismen werden genannt:
- Reduktion von Entzündungen
- Hemmung der Freisetzung von schmerzvermittelnden Neurotransmittern
- Modulation der neuronalen Erregbarkeit
„These include the reduction in inflammation, activation of some pain inhibition pathways, inhibition of neuropeptide and neurotransmitter release, and/or regulation of neuron excitability (particularly in the case of neuropathic pain).“
Besonders hervorgehoben wird in der Übersichtsarbeit die Wirkung von medizinischem Cannabis als Ergänzung (Adjuvans) zu bestehenden Schmerztherapien – etwa bei therapieresistentem Krebs- oder Rheumaschmerz. In einer zitierten Kohortenstudie konnten Patientinnen und Patienten durch den Einsatz von medizinischem Cannabis ihre tägliche Opioiddosis um durchschnittlich 41 % senken:
„A 41% opioid dose reduction (ODR) was also achieved using medical cannabis in cancer and rheumatological patients.“
Diese Ergebnisse stammen aus der prospektiven Beobachtungsstudie von Capano et al. (2019), bei der 97 Probanden mit chronischen Schmerzen über acht Wochen hinweg einen CBD-reichen Hanfextrakt einnahmen.
Wirkung einzelner Cannabinoide – insbesondere CBD
Auch das nicht-psychoaktive Cannabinoid CBD wird in der Übersichtsarbeit im Zusammenhang mit chronischem Schmerz mehrfach erwähnt. Es wurde in Tierversuchen mit unterschiedlichen Modellen von Arthritis, Nervenschäden und operativ induzierten Schmerzen untersucht. Dabei zeigten sich Hinweise auf eine schmerzlindernde Wirkung bei Fibromyalgie – etwa durch Aktivierung peripherer Cannabinoid-Rezeptoren (z. B. CB2R) und Ionenkanäle wie TRPV1.
„In a murine model, the GPR55 receptor modulates the proinflammatory cytokines IL-4, IL-10, IFN gamma, and GM-CSF, thereby mitigating hyperalgesia. […] CBD ... may have therapeutic benefits in treating Rheumatoid arthritis, Fibromyalgia, arthritis, chronic back pain, chronic abdominal pain due to surgery, and chronic pancreatitis, headache, and facial pain.“
Fachbegriffe erklärt:
- Hyperalgesie bezeichnet eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit.
- TRPV1 ist ein Ionenkanal, der auf Hitze, Capsaicin (Scharfstoff in Chili) oder Gewebeverletzungen reagiert und an der Schmerzleitung beteiligt ist.
- CB2R (Cannabinoid-Rezeptor Typ 2) befindet sich überwiegend auf Immunzellen und ist an der Regulation entzündlicher Prozesse beteiligt.
„Cannabinoids and opioids... have been shown to act synergistically.“
Laut den Autoren zeigen Kombinationstherapien aus Cannabinoiden und klassischen Schmerzmitteln (z. B. Opioiden oder nicht-steroidalen Antirheumatika) potenziell synergistische Effekte – insbesondere bei chronischen Schmerzen, die auf Standardtherapien nicht ausreichend ansprechen.
3. Entzündungen und Immunreaktionen: Wie das Endocannabinoid-System eingreift
In vielen chronischen Erkrankungen spielen entzündliche Prozesse eine zentrale Rolle – beispielsweise bei Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, bei entzündlichen Darmerkrankungen oder neurodegenerativen Störungen. Die von Lowe et al. untersuchte Übersichtsarbeit stellt dar, wie Cannabinoide, insbesondere Cannabidiol (CBD) und Anandamid (AEA), entzündungsregulierende Eigenschaften entfalten – und zwar über verschiedene molekulare Zielstrukturen des ECS.
„Cannabinoids have demonstrated the ability to downregulate cytokine and chemokine production and, in doing so, are able to suppress inflammatory responses.“
Wirkung auf entzündungsfördernde Botenstoffe
Die Autoren beschreiben mehrere Signalwege, über die CBD und andere Cannabinoide auf proinflammatorische Zytokine wie Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), Interleukin-6 (IL-6) oder Interleukin-12 (IL-12) wirken. Diese Moleküle sind maßgeblich an der Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Entzündungen beteiligt.
„CBD may mediate levels of inflammation by controlling the release of pro-inflammatory cytokines IL-12 and TNF-α.“
In einem von den Autoren der Übersichtsarbeit zitierten Mausmodell konnte CBD die durch Lipopolysaccharide (LPS) ausgelöste systemische Entzündungsreaktion über den Adenosin-A2A-Rezeptor abschwächen. Außerdem interagierte CBD mit dem TRPV1-Kanal und reduzierte in diesem Zusammenhang die Konzentration mehrerer entzündungsfördernder Zytokine:
„CBD... was able to reduce the levels of pro-inflammatory cytokines (eotaxin1, IL-2, IL-6, IL-12, IL-17, TNF-α, IFC-γ, and MCP-1).“
Fachbegriffe erklärt:
- Zytokine sind Signalproteine, die Immunzellen zur Kommunikation nutzen.
- LPS (Lipopolysaccharid) ist ein bakterieller Bestandteil, der im Labor genutzt wird, um Entzündungsreaktionen auszulösen.
- TRPV1 ist ein Schmerz- und Hitze-sensitiver Ionenkanal.
- A2A-Rezeptoren sind Bindungsstellen für Adenosin, das bei Entzündungsreaktionen eine Rolle spielt.
GPR55 und PPARγ als neue Zielstrukturen
Ein weiterer in der Studie beleuchteter Mechanismus betrifft den GPR55-Rezeptor, einen sogenannten „orphan receptor“, der nicht zu den klassischen Cannabinoid-Rezeptoren zählt. CBD wird als funktioneller Gegenspieler (Antagonist) dieses Rezeptors beschrieben.
„CBD is a functional antagonist to the GPR55 receptor.“
Durch die Blockade von GPR55 wurde in präklinischen Modellen eine verminderte Ausschüttung von TNF-α und IL-12 beobachtet, was auf ein entzündungshemmendes Potenzial hindeutet.

Zudem interagiert CBD mit dem nukleären PPARγ-Rezeptor (Peroxisome-Proliferator-Activated Receptor Gamma), der als Transkriptionsfaktor Einfluss auf entzündungsbezogene Genregulation nimmt. In Tierversuchen konnte CBD darüber hinaus die Produktion von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) reduzieren, welche Gewebe bei chronischer Entzündung zusätzlich schädigen.
„The anti-inflammatory actions of CBD were also reported in murine models of Type 1 Diabetic Cardiomyopathy, Pneumococcal meningitis, Colitis, Alzheimer’s, and Inflammatory Bowel Syndrome.“
Insgesamt zeigt die Übersichtsarbeit eine Vielzahl präklinischer Befunde, in denen Cannabinoide entzündungshemmend wirken – über verschiedene molekulare Andockstellen im ECS und darüber hinaus. Insbesondere CBD wird in verschiedenen Mausmodellen als potenziell entzündungsregulierender Stoff beschrieben. Klinische Studien am Menschen sind in der Übersichtsarbeit jedoch nicht enthalten.
4. Was die Krebsforschung über das Endocannabinoid-System herausgefunden hat

Ein zentrales Kapitel der Studie von Lowe et al. (2021) befasst sich mit dem potenziellen Einfluss des Endocannabinoid-Systems (ECS) und verschiedener Cannabinoide auf krebsspezifische Prozesse. Die Autoren weisen darauf hin, dass Cannabinoide – insbesondere Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), Cannabidiol (CBD) und weitere synthetische sowie endogene Wirkstoffe – in präklinischen Modellen Hinweise auf tumorhemmende Eigenschaften gezeigt haben.
„Cannabinoids exert their anti-cancer properties via several different proposed mechanisms of action including, but not limited to: induction of apoptosis, autophagy and cell-cycle arrest, inhibition of cancer cell migration, metastasis, angiogenesis, neovascularization, adhesion, and/or invasion.“
Präklinische Befunde zu verschiedenen Tumorarten
Die Autoren listen in ihrer Übersichtsarbeit eine Vielzahl von Cannabinoiden auf, die in Zellkultur- und Tiermodellen mit verschiedenen Krebsarten untersucht wurden. Dazu zählen:
- Δ9-THC, CBD, CBDA, 2-AG, AEA
- Synthetische Substanzen wie WIN-552122, JWH-133, AME121
- Modelle von Brustkrebs, Prostatakrebs, Lungenkrebs, Glioblastomen, Leukämien, Lymphomen, Neuroblastomen und weiteren Tumorarten
Dabei wurden folgende mögliche Mechanismen beschrieben:
- Einleitung des programmierten Zelltods (Apoptose)
- Hemmung der Zellteilung und Tumorzellvermehrung (Cell Cycle Arrest)
- Blockierung der Bildung neuer Blutgefäße (Angiogenese)
- Reduktion der Tumorzellbeweglichkeit und -invasion
„These properties are likely attributed to their role in endocannabinoid signalling pathways involved in cancer processes such as the MEK-extracellular signal-regulated kinase signalling cascade, and the adenylyl cyclase, cyclic AMP-protein kinase-A pathway.“
Fachbegriffe erklärt:
- Apoptose ist ein natürlicher Prozess des programmierten Zelltods, der häufig bei der Krebsabwehr gestört ist.
- Angiogenese bezeichnet die Neubildung von Blutgefäßen – ein zentraler Schritt für das Tumorwachstum.
- Signalwege wie MEK/ERK oder cAMP/PKA regulieren u. a. Zellwachstum, Überleben und Teilung – und sind häufig in Krebszellen verändert.
Hinweise auf Veränderungen im ECS bei Tumorerkrankungen
In mehreren in der Übersichtsarbeit zitierten Studien wurde eine erhöhte Expression von Cannabinoid-Rezeptoren (CB1R, CB2R) sowie eine Veränderung der endogenen Liganden (z. B. AEA, 2-AG) in Tumorgewebe festgestellt. Auch Enzyme wie FAAH und MAGL, die für den Abbau von Endocannabinoiden verantwortlich sind, waren in Tumorzellen teilweise verändert.
„Multiple studies also confirm the direct correlation between the upregulation of said cannabinoid receptors, endocannabinoid metabolic enzymes, and endogenous ligands in cancerous tissue.“
Darüber hinaus wird beschrieben, dass der Einfluss von Cannabinoiden auf Tumorzellen möglicherweise auch interzelluläre Kommunikation zwischen Krebszellen modulieren kann.
„Signalling between cancer cells is also shown to be mediated by cannabinoids.“
Klinische Einordnung
Die Autoren betonen, dass es sich bei den genannten Wirkmechanismen um Ergebnisse aus präklinischen Modellen handelt – also aus Tierversuchen oder In-vitro-Studien an Zelllinien. Studien am Menschen, die eine therapeutische Wirksamkeit von Cannabinoiden gegen Krebszellen belegen, werden in der Arbeit nicht aufgeführt.
Die bekannten palliativen Einsatzmöglichkeiten von medizinischem Cannabis, etwa zur Linderung von Übelkeit, Schmerzen und Appetitlosigkeit, werden ebenfalls in der Arbeit erwähnt, stehen jedoch nicht im Zentrum der dargestellten Analyse.
5. Neurologische Erkrankungen: Wie das Endocannabinoid-System ins zentrale Nervensystem eingreift

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose (MS) und epileptische Anfallsleiden sind durch den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen gekennzeichnet. Die Autoren der Studie analysieren präklinische Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass das Endocannabinoid-System (ECS) eine zentrale Rolle bei neuroinflammatorischen Prozessen, der Neurogenese und dem Schutz neuronaler Strukturen spielen könnte.
„Cannabinoids are known to play a role in the modulation of inflammation (neuroinflammation), along with providing and enhancing neuroprotection.“
CBD und der Schutz des Nervensystems
In mehreren Tiermodellen zeigte sich, dass Cannabidiol (CBD) eine schützende Wirkung auf das zentrale Nervensystem entfalten kann – insbesondere im Kontext von oxidativem Stress, Entzündungen und strukturellem Nervenzellverlust.
„CBD demonstrated a neuroprotective role against neuroanatomical alterations in the hippocampus.“
In Mausmodellen mit ischämischem Schlaganfall, bei dem die Durchblutung des Gehirns durch ein Blutgerinnsel unterbrochen ist, konnte CBD die zerebrale Durchblutung (CBF) verbessern. Dieser Befund wurde in der Übersichtsarbeit mehrfach hervorgehoben:
„CBD increases cerebral blood flow (CBF), thereby reducing the risk of ischaemic strokes.“
Weitere präklinische Untersuchungen, die in der Übersichtsarbeit zusammengefasst werden, deuten darauf hin, dass CBD möglicherweise die Blut-Hirn-Schranke stabilisieren und entzündungsfördernde Zytokine im Gehirn senken kann.
„CBD... may exhibit neuroprotective effects in pathophysiology of ischaemic stroke... through antagonism of the serotonin (5HT3) receptor... and maintenance of the blood–brain barrier.“
Fachbegriffe erklärt:
- Neuroinflammation bezeichnet Entzündungsprozesse im zentralen Nervensystem.
- CBF (Cerebral Blood Flow) ist ein Maß für die Durchblutung des Gehirns.
- Blut-Hirn-Schranke (Blood–Brain Barrier, BBB) schützt das Gehirn vor Schadstoffen und Krankheitserregern im Blut.
Neurogenese und Gedächtnisleistung
Die Studie verweist zudem auf präklinische Hinweise, dass CBD die Bildung neuer Nervenzellen (Neurogenese) im Hippocampus fördern und strukturelle Schäden nach Stress oder THC-Exposition abmildern könnte.
„In murine models, CBD promoted hippocampal neurogenesis, synaptic- and dendritic-remodelling... and prevented THC-induced neurotoxicity, oxidative damage/ROS production, and neuronal damage.“
Diese Effekte wurden u. a. bei Mäusen nach längerer Gabe von CBD beobachtet. Besonders untersucht wurde der Einfluss auf die strukturelle Integrität des Hippocampus – eine Hirnregion, die bei Alzheimer-Patienten stark betroffen ist und eng mit Lernen und Erinnerung verknüpft ist.
6. Charlotte Figi und das Endocannabinoid-System: Ein dokumentierter Therapieversuch mit CBD
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende Anfälle gekennzeichnet ist. Besonders schwer behandelbar sind therapieresistente Formen, die auf klassische antiepileptische Medikamente (AEDs) unzureichend ansprechen. Die Übersichtsarbeit von Lowe et al. beschreibt präklinische und klinisch dokumentierte Hinweise, wonach bestimmte Cannabinoide – insbesondere CBD – in Einzelfällen eine Reduktion der Anfallsfrequenz bewirken konnten.
„Multiple anecdotal and scientific evidence confirm the success of medical cannabis in reducing the frequency of seizure episodes with the use of CBD—this being after the end-of-the-road, i.e., failing therapy with traditional AEDs.“
Fallbeispiel: Charlotte Figi
Besonders hervorgehoben wird in der Übersichtsarbeit der Fall von Charlotte Figi, einem Kind mit einer genetisch bestätigten Dravet-Syndrom-Diagnose. Bei dieser Form der Epilepsie traten bei Charlotte im Alter von 5 Jahren bis zu 300 generalisierte tonisch-klonische Anfälle pro Woche auf – das entspricht rund 50 Anfällen täglich. Weder Medikamente noch eine ketogene Diät brachten eine nachhaltige Besserung.
Im Rahmen eines individuellen Behandlungsversuchs erhielt Charlotte ein CBD-reiches Vollspektrum-Extrakt aus der Sorte Charlotte's Web, das nur 0,3 % THC enthielt und somit keine berauschende Wirkung hervorrief. Die Dosierung lag zwischen 2 und 4 mg CBD pro Pfund Körpergewicht und Tag. Das Ergebnis:
„Twenty months later, Charlotte’s seizures were reduced by 90% to 2–3 per month, and she could now walk, talk, and do activities unassisted.“
Laut den Angaben der Familie sank die Zahl ihrer generalisierten Anfälle von bis zu 300 pro Woche auf nur noch zwei bis drei pro Monat – also eine Reduktion um etwa 90 %. Bemerkenswert ist auch der zweite Teil der Aussage: Charlotte konnte demnach wieder laufen, sprechen und alltägliche Aktivitäten selbstständig ausführen, was angesichts der vorherigen Krankheitsbelastung als erhebliche Verbesserung des funktionalen Zustands gewertet wurde.
Charlotte Figi wog zu Beginn der Therapie laut Medienberichten (CNN) etwa 12,5 Kilogramm. Die verabreichte Dosis lag bei:
-
Anfangsdosis: ca. 2 mg CBD pro Pfund Körpergewicht und Tag
-
Zieldosis: bis zu 4 mg CBD pro Pfund Körpergewicht und Tag
Das ergibt eine tägliche Gesamtdosis von etwa 50 bis 100 mg CBD, aufgeteilt auf zwei bis drei Gaben am Tag. Bei einem 35 % CBD-Öl (also 350 mg CBD pro Milliliter) entspricht das einer Dosis von etwa 3 Tropfen (50 mg CBD) bis 6 Tropfen (100 mg CBD) pro Tag.
Bitte beachten Sie: Die Dosierungsangaben beruhen auf der individuellen Anwendung in einem dokumentierten Einzelfall. Bitte sprechen Sie den Einsatz von CBD-Produkten immer vorher mit Ihrem behandelnden Arzt ab.
Zusätzlich kam es laut Autoren zu Verbesserungen im Verhalten und der kognitiven Entwicklung. Bei Reduktion der Dosis nahmen die Anfälle erneut zu – ein Hinweis auf eine mögliche Wirksamkeit.
Studienlage zu CBD bei Epilepsie
Die Autoren der Übersichtsarbeit verweisen auf mehrere wissenschaftliche Arbeiten, in denen CBD als Zusatztherapie bei Epilepsie untersucht wurde – etwa bei Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) und Dravet-Syndrom (DS). In diesen Studien wurde die Anfallshäufigkeit signifikant reduziert, teils um mehr als 40 %. Die Daten wurden in klinischen Studien mit Hunderten von Teilnehmern erhoben.
„CBD has demonstrated efficacy as an adjunct treatment option in the clinical management of Lennox–Gastaut syndrome (LGS) and Dravet syndrome (DS) as... it has reduced the frequency of epileptic seizures.“
Im Jahr 2018 wurde auf dieser Basis das erste pflanzenbasierte, CBD-haltige Arzneimittel in den USA zugelassen: Epidiolex®. Es enthält gereinigtes CBD und ist für Kinder ab zwei Jahren mit bestimmten Formen von therapieresistenter Epilepsie verfügbar.
Hinweis: CBD-Öle, wie sie unter anderem bei uns im Shop gekauft werden können, dürfen in der EU nicht zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden. Für bestimmte Indikationen ist reines CBD als Arzneimittel zugelassen.
7. Autoimmunerkrankungen: Wie das Endocannabinoid-System in Entzündungsprozesse eingreift

Autoimmunerkrankungen entstehen, wenn das körpereigene Immunsystem fälschlicherweise gesundes Gewebe angreift. Beispiele hierfür sind Multiple Sklerose (MS), rheumatoide Arthritis, Typ-1-Diabetes oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (z. B. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa). Die Übersichtsarbeit beleuchtet, welche Rolle das Endocannabinoid-System (ECS) in diesen Krankheitsprozessen spielt – insbesondere über die Rezeptoren CB1R und CB2R.
„The ECS has been implicated in immunoregulation as endocannabinoids, synthetic cannabinoids... and phytocannabinoids... have demonstrated immunosuppressive properties, primarily by way of apoptosis.“
CB2R: Schlüsselrolle im Immunsystem
Der Cannabinoid-Rezeptor CB2R ist vor allem auf Immunzellen wie T-Zellen und Makrophagen aktiv. Er scheint eine zentrale Rolle bei der Modulation von Entzündungen und der Verhinderung überschießender Immunreaktionen zu spielen. In Mausmodellen zeigten sich bei gezielter Aktivierung von CB2R antientzündliche und immunsuppressive Effekte.
„CB2R are primarily expressed in the cells of the immune system... [and] demonstrate the ability to induce apoptosis of T cells and macrophages.“
Fachbegriffe erklärt:
- Apoptose bezeichnet einen programmierten Zelltod, der u. a. der Selbstregulation des Immunsystems dient.
- T-Zellen sind spezialisierte Immunzellen, die bei Autoimmunprozessen eine zentrale Rolle spielen.
Multiple Sklerose (MS)
Für Multiple Sklerose werden in der Studie präklinische Modelle beschrieben, bei denen Cannabinoide spastische Symptome, Nervenentzündungen und Schmerzempfinden beeinflussen konnten. In einem Mausmodell der experimentellen Autoimmunenzephalomyelitis (EAE), das häufig zur Erforschung von MS verwendet wird, reduzierte die Aktivierung von CB2R die Entzündungsreaktion messbar.
„Inflammation associated with EAE was also shown to be controlled by CB2R expressed by encephalitogenic T cells.“
Darüber hinaus zeigten T-Zellen ohne CB2R eine verstärkte Entzündungsreaktion, waren resistenter gegenüber Apoptose und produzierten mehr entzündliche Zytokine – was die regulatorische Rolle dieses Rezeptors unterstreicht.
Rheumatoide Arthritis
Die Studie verweist außerdem auf präklinische Daten zu rheumatoider Arthritis, bei der Cannabinoide die Freisetzung von entzündungsfördernden Molekülen wie IL-6, MMP-3 und CCL2 in Gelenken verringern konnten. Dabei kamen in Tiermodellen selektive CB2R-Agonisten wie JWH-133 und JWH-015 zum Einsatz.
„JWH133, a selective CB2R agonist inhibited the production of the inflammatory mediators interleukin (IL)-6, matrix metalloproteinase-3 (MMP-3), and... CCL2... in rheumatoid joints.“
Colitis und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
In Mausmodellen von Colitis (einer Form chronischer Darmentzündung) konnte CBD den Schweregrad der Entzündung reduzieren. Besonders eindrücklich: Der CB2R-Antagonist AM630 verschlimmerte die Entzündung deutlich, während die CB2R-Agonisten JWH-133 und AM1241 eine signifikante Linderung der Symptome bewirkten.
„After a 3-day treatment, AM630 demonstrated complete exacerbation of colitis, while JWH133 or AM1241 significantly reduced colitis. […] Inflamed IBD mucosa expressed significantly lower levels of the endocannabinoid AEA.“
In der Arbeit wird zudem ein Zusammenhang zwischen niedrigem Anandamid-Spiegel (AEA) und entzündeter Darmschleimhaut festgestellt – was auf eine gestörte Regulation des ECS bei Morbus Crohn und Colitis hindeuten könnte.
8. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und das Endocannabinoid-System: Was präklinische Studien zeigen

Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Die Studie analysiert präklinische Daten zur Frage, inwieweit Cannabinoide wie Cannabidiol (CBD) auf kardiovaskuläre Funktionen einwirken – etwa bei Bluthochdruck (Hypertonie), Arteriosklerose, ischämischer Herzerkrankung oder Schlaganfällen.
„Studies have shown that cannabinoids, including CBD, have a cardioprotective role—preventing heart damage, reducing the risks thereof, and maintaining a ‘healthy’ heart and vasculature.”
Blutdruck, Gefäßentspannung und Entzündungshemmung
CBD wurde in mehreren präklinischen Studien als potenziell gefäßentspannend (vasodilatativ) beschrieben. Es konnte in Tierversuchen zur Weitstellung von Blutgefäßen, zur Senkung des Blutdrucks und zur Verbesserung der Durchblutung beitragen – unter anderem durch die Aktivierung des PPARγ-Rezeptors sowie der TRPV-Kanäle.
„CBD and other cannabinoids have also been shown to cause relaxation of the blood vessel walls (vasorelaxation).“
CBD wird darüber hinaus eine Rolle bei der Hemmung entzündlicher Prozesse im Herz-Kreislauf-System zugeschrieben. Eine chronische Gefäßentzündung ist ein bekannter Risikofaktor für Arteriosklerose und daraus resultierende Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall.
„It is suggested that CBD decreases blood pressure, attenuates atherosclerosis, and increases the available nitric oxide by way of PPARγ antagonism.”
Fachbegriffe erklärt:
- Vasodilatation bedeutet die Erweiterung von Blutgefäßen, was den Blutdruck senken kann.
- PPARγ ist ein nukleärer Rezeptor, der Entzündungen regulieren und die Insulinsensitivität verbessern kann.
- Nitric Oxide (NO) ist ein Signalmolekül, das die Blutgefäße entspannt und Blutdruck sowie Gefäßtonus reguliert.
Schutz bei Schlaganfall und Ischämie
In präklinischen Modellen von ischämischem Schlaganfall – also einer Minderdurchblutung des Gehirns – zeigte CBD neuroprotektive Eigenschaften. Es erhöhte unter anderem die Durchblutung im Gehirn (Cerebral Blood Flow, CBF) und schützte Nervenzellen vor Schädigung:
„CBD increases cerebral blood flow (CBF), thereby reducing the risk of ischaemic strokes.”
Zudem wird in der Studie diskutiert, dass CBD möglicherweise die Integrität der Blut-Hirn-Schranke aufrechterhalten und so das Eindringen schädlicher Substanzen in das Gehirngewebe verhindern könnte.
„CBD... may facilitate 5-HT1AR signalling... and maintain the blood–brain barrier.”
Myokardinfarkt (Herzinfarkt) und Infarktgröße
Auch zur Rolle von CBD bei Myokardinfarkt, also einem Herzinfarkt, liefert die Studie Hinweise aus präklinischer Forschung. Hier konnte CBD in Tierversuchen das Ausmaß des Herzgewebeschadens (Infarktgröße) verringern:
„CBD reduces infarct size by reducing inflammation.”
CBD zeigte dabei eine dämpfende Wirkung auf die Aktivität bestimmter Immunzellen, regulierte die Aggregation von Blutplättchen (Thrombozyten) und beeinflusste die Wanderung weißer Blutkörperchen – alles Prozesse, die bei akuten Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Rolle spielen.
9. Hauterkrankungen: Wie das Endocannabinoid-System Akne, Psoriasis und Ekzeme beeinflusst

Die Haut ist das größte Organ des menschlichen Körpers – und das Endocannabinoid-System (ECS) ist in allen Hautschichten präsent. Die Autoren der Studie beschreiben, dass sämtliche Hauptkomponenten des ECS, einschließlich der Rezeptoren CB1R, CB2R, TRPV1, PPARγ sowie endogene Liganden wie Anandamid (AEA), in der Haut nachgewiesen wurden.
„All components of the ECS are found in the skin, further establishing the role of the ECS in healthy and diseased skin and general homeostasis.”
Die ECS-Komponenten wirken dabei nicht nur an der Hautbarrierefunktion, sondern auch an der Regulation von Talgproduktion, Zellteilung, Entzündung und Juckreiz mit. Die Übersichtsarbeit widmet sich mehreren Hauterkrankungen, bei denen Cannabinoide in präklinischen Modellen potenziell regulierend eingreifen konnten.
Akne (Acne vulgaris)
Akne ist die weltweit häufigste Hauterkrankung – sie entsteht durch Überproduktion von Hauttalg, Verhornungsstörungen und entzündliche Prozesse. Die Studie verweist auf präklinische Untersuchungen mit CBD, das in menschlichen Talgdrüsenzellen (SZ95-Sebozyten) eine verminderte Lipidproduktion und eine entzündungshemmende Wirkung gezeigt hat.
„CBD inhibits lipid synthesis and induces cell death in human sebaceous gland-derived sebocytes and ultimately may be a safer treatment for acne than Accutane.”
Weitere Studien, auf die sich die Übersichtsarbeit stützt, zeigen, dass CBD die Expression entzündlicher Zytokine senken und die Proliferation überaktiver Hautzellen verringern konnte.
Psoriasis
Psoriasis ist eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung, die mit einer übermäßigen Vermehrung von Hautzellen (Keratinozyten) einhergeht. Die Autoren beschreiben, dass in Zell- und Tiermodellen Anandamid (AEA) und CB1R-Agonisten die Expression der für Psoriasis typischen Keratine (K6 und K16) senken konnten.
„AEA, and the CB1R-specific agonist... are also shown to inhibit epidermal differentiation and the proliferation of epidermal keratinocytes via downregulation of the expression of keratins K6 and K16.”
Außerdem konnte AEA die Ausschüttung entzündlicher Botenstoffe durch Keratinozyten verringern – ein möglicher Ansatz zur symptomatischen Regulierung der Erkrankung.
Ekzeme und atopische Dermatitis
In einer von Lowe et al. zitierten klinischen Untersuchung von Maghfour et al. (2021) mit Personen, die an atopischer Dermatitis litten, wurde die Anwendung eines topischen CBD-Präparats untersucht. Die Teilnehmer berichteten von einer deutlichen Verbesserung der Hautsymptome, einschließlich Reduktion von Juckreiz, psychischer Belastung und Entzündung.
„Subjects self-reported a significant reduction in eczema severity, reduction in the psychosocial burden... and overall improvement of eczema.”
Weitere Hauterkrankungen
Die Übersichtsarbeit erwähnt zudem mögliche Anwendungsbereiche von Cannabinoiden bei:
- Neurogener Juckreiz (Pruritus)
- Narbenbildung (Fibrose)
- Autoimmunerkrankungen der Haut (z. B. Sklerodermie)
- Karzinogenese (Hautkrebsentwicklung)
Dabei stehen präklinische Daten im Vordergrund – etwa zur Hemmung der UV-induzierten Hautentzündung durch CB1R- und CB2R-Aktivierung sowie zur Reduktion proliferierender Fibroblasten in einem Sklerodermie-Mausmodell durch CB2R-Agonisten wie JWH-133.
„JWH-133 reduced leukocyte infiltration and dermal thickening [in a model of bleomycin-induced scleroderma].”
In einem Tierversuch zur Sklerodermie – einer chronischen Hautkrankheit, bei der sich die Haut verhärtet und verdickt – wurde der Wirkstoff JWH-133 getestet. Dieser Stoff aktiviert gezielt den Cannabinoid-Rezeptor CB2, der vor allem im Immunsystem aktiv ist. In dem Versuch zeigte sich: Bei den behandelten Tieren drangen weniger Immunzellen in die Haut ein und die Haut war weniger verdickt als in der unbehandelten Vergleichsgruppe.
Das bedeutet: In diesem präklinischen Modell konnte der Entzündungsprozess in der Haut gebremst werden, was ein Hinweis darauf ist, dass die CB2-Rezeptoren möglicherweise eine Rolle bei der Regulierung von überschießenden Immunreaktionen in der Haut spielen könnten.
10. Essstörungen, Appetit und Mangelernährung: Was das Endocannabinoid-System damit zu tun hat

Das ECS spielt eine zentrale Rolle bei der Steuerung des Appetits, der Nahrungsaufnahme und des Energiehaushalts. Diese Funktionen werden über Rezeptoren wie CB1R, endogene Cannabinoide wie Anandamid (AEA) und exogene Substanzen wie THC moduliert.
„The ECS has also been implicated in normal appetite control, determination of appetitive value, weight regulation and obesity.”
Δ9-THC und Appetitstimulation
Δ9-THC ist ein partieller Agonist am CB1R, der unter anderem in Hypothalamus, Hippocampus und Belohnungszentren des Gehirns vorkommt. THC wird seit Langem für seine appetitanregende Wirkung (Orexis) beschrieben – etwa bei Krebspatienten oder HIV/AIDS-bedingtem Wasting-Syndrom.
„Δ9-THC is a known orexigenic (appetite stimulant), as confirmed by thousands of years of anecdotal evidence and modern-day clinical studies.”
In den USA ist beispielsweise das auf Δ9-THC basierende Arzneimittel Dronabinol® für diese Indikation zugelassen.
THCV: Sättigung statt Heißhunger?
Ein weiteres Cannabinoid, das in der Studie genannt wird, ist Δ9-Tetrahydrocannabivarin (THCV). In präklinischen Modellen zeigte THCV eine mögliche Wirkung auf Sättigung und Energieverbrauch. Anders als THC könnte THCV den Appetit dämpfen, indem es als CB1R-Antagonist wirkt.
„Δ9-THCV has demonstrated the ability to decrease appetite, up-regulate energy metabolism, and increase satiety.”
In Tierversuchen wurde THCV auch mit einer verbesserten Glukosetoleranz und Insulinsensitivität bei Typ-2-Diabetes-Modellen in Verbindung gebracht. Klinische Studien dazu wurden in der Übersichtsarbeit jedoch nicht erwähnt.
CBD bei Anorexie und Appetitverlust
CBD selbst ist kein klassischer Appetitanreger wie THC. Dennoch berichten einige in der Übersichtsarbeit zitierte Studien über mögliche positive Effekte bei medikamenteninduzierter Appetitlosigkeit – etwa im Zusammenhang mit chronischer Hepatitis-C-Behandlung oder HIV/AIDS.
In einer Untersuchung von Costiniuk et al. (2008), die in der Studie referenziert wird, besserten sich Appetit, Übelkeit und Gewichtsstabilität bei Patienten, die orale Cannabinoidpräparate ergänzend erhielten:
„CBD may improve appetite, reduce nausea and vomiting, increase caloric intake, promote weight gain...”
Ein möglicher Wirkmechanismus könnte darin liegen, dass CBD entzündliche Prozesse im Darm oder Begleiterscheinungen von Medikamenten abschwächt, was zu einer indirekten Verbesserung des Essverhaltens führt. Konkrete klinische Vergleichsstudien sind in der Übersichtsarbeit jedoch nicht aufgeführt.
Fazit zu Essstörungen
Insgesamt beschreibt die Übersichtsarbeit, wie verschiedene Cannabinoide über das ECS auf komplexe physiologische Prozesse rund um Nahrungsaufnahme, Sättigung und Stoffwechsel einwirken. Während THC primär appetitanregend wirkt, zeigen THCV und CBD differenzierte Effekte, die in Abhängigkeit von Dosis, Rezeptorbindung und Krankheitsbild stehen.
Fazit
Die im International Journal of Molecular Sciences veröffentlichte systematische Übersichtsarbeit von Henry Lowe et al. (2021) beleuchtet das Endocannabinoid-System (ECS) als möglichen Ansatzpunkt für die Forschung zu einer Vielzahl chronischer Erkrankungen. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf der Frage, inwiefern Cannabinoide – sowohl pflanzlicher als auch synthetischer Herkunft – über das ECS mit physiologischen und pathophysiologischen Prozessen in Verbindung stehen.
Die Autoren untersuchen Studien zu Angststörungen, chronischem Schmerz, Entzündungsprozessen, neurologischen Erkrankungen, Krebs, Autoimmunerkrankungen, Epilepsie, kardiovaskulären Beschwerden, Hautkrankheiten und Essstörungen. Die Ergebnisse beruhen größtenteils auf präklinischen Modellen (Zellversuche und Tierstudien) sowie ausgewählten Fallbeispielen und Beobachtungsstudien beim Menschen.
Einige zentrale Aussagen aus der Arbeit sind:
„CBD demonstrated a neuroprotective role against neuroanatomical alterations in the hippocampus. […] A 41% opioid dose reduction (ODR) was also achieved using medical cannabis in cancer and rheumatological patients. […] Multiple cannabinergic secondary metabolites of C. sativa L. may have potential as lead compounds in the development of cannabinoid-based pharmaceuticals.”
Dabei betonen die Autoren ausdrücklich die Vielfalt der potenziellen molekularen Zielstrukturen: CB1R, CB2R, TRPV1, PPARγ, GPR55 und andere Rezeptoren sowie die beteiligten Enzyme des ECS. Die modulierte Freisetzung von Zytokinen, Neurotransmittern, Wachstumsfaktoren und Signalmolekülen wird als Grundlage für die beobachteten Effekte diskutiert.
Die Studienlage wird von den Autoren als vielversprechend beschrieben – allerdings mit dem klaren Hinweis, dass weitere klinische Studien am Menschen erforderlich sind, um Sicherheit, Wirksamkeit und medizinische Einsatzmöglichkeiten verlässlich zu bewerten.
Quellenangabe