Was der Hanfverband jetzt fordert

Offener Appell an die SPD: Was der Hanfverband jetzt fordert

Inhaltsverzeichnis

    Der Deutsche Hanfverband meldet sich zu Wort – und das nicht leise. In einer offenen Mail erinnert Sprecher Georg Wurth die SPD an ein Versprechen, das allzu bequem in der politischen Schublade zu verschwinden droht: die Legalisierung von Cannabis. Der Ton ist unmissverständlich. Vorwärts bei Cannabis – nie wieder kriminell!

    Hinweis: Dieser Beitrag stellt keine Rechtsberatung dar. Trotz sorgfältiger Recherche ersetzen die Inhalte keine individuelle juristische Einschätzung. Bei rechtlichen Fragen oder Unsicherheiten wende Dich bitte an eine zugelassene Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt.

    Die Botschaft richtet sich an die SPD-Verhandler im Gesundheitsbereich – und gleichzeitig an ein Publikum, das längst weiter ist als Teile der Politik. Denn: Die Mehrheit der Bevölkerung steht hinter einer regulierten Abgabe von Cannabis. Auch Eigenanbau und Anbauvereinigungen finden breite Zustimmung. Es geht längst nicht mehr um Ideologie, sondern um Rechtsklarheit und politische Verlässlichkeit.

    Trotzdem hält sich hartnäckig das Narrativ von der überforderten Polizei, dem Kontrollverlust und der angeblich zunehmenden Kriminalität. Aber stimmen diese Behauptungen – oder klingen sie nur gut in Talkshows?

    Zeit, den Fakten den Vortritt zu lassen. Was hat sich rechtlich tatsächlich geändert? Wer profitiert – und wer erzählt Märchen? Ein Blick auf das Gesetz, seine Grauzonen und seine Wirkung in der Praxis.

    1. Das neue Cannabisgesetz im Überblick

    Was früher ein Fall für die Polizei war, ist heute – unter bestimmten Bedingungen – schlicht erlaubt. Mit dem Cannabisgesetz hat die Bundesregierung nicht weniger getan, als das Verhältnis zwischen Staat und Konsument neu zu justieren. Die Grundidee: Erwachsene sollen Cannabis in klar definiertem Rahmen konsumieren, anbauen und gemeinschaftlich nutzen dürfen – ohne Angst vor Strafverfolgung. Das klingt simpel, ist in der Praxis aber ein komplexes Geflecht aus Ausnahmen, Regeln und Grenzen.

    Erlaubt sind 25 Gramm zum Eigenkonsum in der Öffentlichkeit, 50 Gramm zu Hause, dazu drei weibliche Pflanzen pro volljährige Person im privaten Anbau. Wer sich daran hält, hat nichts zu befürchten – zumindest theoretisch. Denn: Die Regelungen gelten nicht überall gleich. Der Konsum in der Nähe von Schulen, Kitas oder Spielplätzen ist zum Beispiel untersagt, teils mit großzügigen Abstandsvorgaben, die wiederum von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausgelegt werden. Einheitlich ist daran wenig.

    Pro und Kontra zum neuen Cannabisgesetz.

    Auch Cannabis-Clubs dürfen künftig legal anbauen und an ihre Mitglieder abgeben. Allerdings unter strengen Auflagen: begrenzte Mitgliederzahl, keine Werbung, keine Gewinnerzielung, lückenlose Dokumentation. Der Staat hat mitgedacht – und gleichzeitig einen Wust an Bürokratie geschaffen, der manchen Verein eher an eine Behörde als an einen Club erinnern dürfte.

    Was bleibt verboten? Mehr als man denkt. Wer außerhalb der engen gesetzlichen Grenzen handelt, rutscht schnell wieder in den strafbaren Bereich. Handel, gewinnorientierte Weitergabe, Besitz über der erlaubten Menge, Abgabe an Minderjährige – alles nach wie vor tabu. Auch wer seinen Eigenanbau zu großzügig interpretiert, muss mit Ermittlungen rechnen. Kurz gesagt: Entkriminalisierung ja – Freifahrtschein nein.

    Das erklärte Ziel des Gesetzes ist ein Dreiklang aus Entlastung, Kontrolle und Jugendschutz. Konsumenten sollen raus aus der Grauzone, Polizei und Justiz raus aus der Sackgasse der Bagatelldelikte. Ob das gelingt, ist keine Frage des Willens – sondern der Umsetzung. Und da fangen die Schwierigkeiten an.

    2. Entkriminalisierung: Was bedeutet das rechtlich konkret?

    Entkriminalisierung klingt nach Freiheit, nach weniger Staat und mehr Eigenverantwortung. In der juristischen Realität bedeutet es vor allem eines: eine neue Grenzziehung. Was gestern noch strafbar war, ist heute – unter Auflagen – erlaubt oder zumindest keine Straftat mehr. Doch wer glaubt, das neue Gesetz sei ein Freibrief, irrt gewaltig.

    Die Besitzgrenzen sind glasklar: 25 Gramm draußen, 50 Gramm zu Hause. Doch was passiert, wenn jemand auf dem Heimweg vom Club zufällig 30 Gramm in der Jacke trägt? Reicht dann der Satz „Ich wollte es gleich zu Hause aufteilen“ als Erklärung? Eher nicht. Und wenn zwei Erwachsene gemeinsam wohnen – dürfen sie gemeinsam 100 Gramm lagern oder gilt das Limit pro Wohnung? Solche Fragen beschäftigen derzeit nicht nur Konsumenten, sondern auch Juristinnen, Polizisten und Amtsrichter.

    Beim Eigenanbau ist es ähnlich. Drei Pflanzen pro Person sind erlaubt. Aber was, wenn vier blühen, weil eine männliche Pflanze unentdeckt blieb und plötzlich Samen verteilt hat? Oder wenn die Pflanzen nicht in der eigenen Wohnung, sondern im Schrebergarten stehen? Das Gesetz hat Lücken – und jede davon kann im Zweifel zur Falle werden.

    Was sind die rechtlichen Implikationen der Entkriminalisierung von Cannabis?

    Neu ist auch die Aufteilung zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit. Wer in der Nähe einer Schule kifft, riskiert kein Strafverfahren, sondern ein Bußgeld. Wer aber denselben Joint einem Freund weitergibt, rutscht unter Umständen wieder ins Strafrecht. Die Linie verläuft nicht dort, wo der gesunde Menschenverstand sie vermuten würde.

    So entsteht ein neues Spannungsfeld: weniger Strafverfahren, aber mehr Graubereiche. Konsumenten sind nicht mehr automatisch Kriminelle – aber sie müssen besser informiert sein als je zuvor. Denn Unwissen schützt nicht vor der Ordnungswidrigkeit. Und schon gar nicht vor der Strafanzeige, wenn die Tüte ein paar Gramm zu schwer ist.

    3. Die Rolle der Polizei: Entlastung oder neue Aufgaben?

    Kaum war das neue Gesetz da, meldete sich die Polizei zu Wort – oder genauer gesagt: ihre Gewerkschaften. Von „Bürokratiemonster“ war die Rede, von zusätzlicher Belastung, von Kontrollchaos. Die Botschaft: Früher war alles einfacher. Dabei ist genau das der Punkt. Früher war es einfacher, weil man nicht unterscheiden musste. Wer mit Gras erwischt wurde, kam ins System – egal wie viel, egal woher, egal warum. Jetzt aber gilt: differenzieren statt durchgreifen.

    Doch was ist dran an der Erzählung vom überforderten Streifenbeamten? Ein Blick in die Zahlen entlarvt die These als Nebelkerze. Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2024 zeigt: Die Zahl der Cannabis-bedingten Strafverfahren ist fast überall zurückgegangen. Weniger Anzeigen, weniger Ermittlungen, weniger Papierkram. Wer das als Belastung begreift, hat vermutlich einfach Angst vor Veränderung.

    Natürlich sind neue Aufgaben hinzugekommen. Aber eben nicht für die Polizei. Die Kontrolle der Cannabis-Clubs, die Einhaltung von Abstandsregeln, die Prüfung von Anbauvorschriften – all das liegt überwiegend in den Händen der Kommunalverwaltungen. Wer also behauptet, die Polizei müsse jetzt in jedem Club das Licht anknipsen und die Pflanzen zählen, hat das Gesetz nicht gelesen. Oder nicht verstanden.

    Ein besonders lehrreiches Beispiel liefert Sachsen-Anhalt. Ganze 23 Verstöße seit Einführung des Gesetzes. Keine Spur vom befürchteten Kontrollkollaps. Keine Meldungen über eskalierende Zustände. Stattdessen: Ruhe. Ordnung. Alltag.

    Man kann also sagen: Die Polizei ist nicht überfordert, sondern entlastet. Vorausgesetzt, man betrachtet die Realität – und nicht die Schlagzeilen. Die Legalisierung hat das Verhältnis zwischen Polizei und Konsumenten neu geordnet. Weg vom Generalverdacht, hin zu klaren Regeln. Und wer sich daran hält, ist kein Fall mehr für die Strafverfolgung.

    4. Juristische Grauzonen und offene Fragen

    Das Gesetz ist da, die Regeln sind klar – zumindest auf dem Papier. In der Praxis sieht das oft anders aus. Denn wo neue Freiheiten entstehen, tauchen auch neue Fragen auf. Und die sind nicht immer so eindeutig zu beantworten, wie es der Gesetzestext glauben macht.

    Nehmen wir die Besitzgrenzen. 25 Gramm draußen, 50 Gramm zu Hause. Klingt einfach, wird kompliziert, sobald man unterwegs ist. Wer mit 30 Gramm im Rucksack nach Hause läuft, überschreitet die Grenze – auch wenn das Ziel das heimische Wohnzimmer ist, wo der Besitz erlaubt wäre. Die Unschärfe beginnt dort, wo Logik auf Paragraphen trifft.

    Oder der Eigenanbau. Drei Pflanzen pro Person – schön. Aber was, wenn’s vier werden, weil eine Pflanze überraschend besonders vital ist? Oder wenn man als Paar zusammenlebt: drei Pflanzen pro Person oder pro Haushalt? Die Auslegung variiert, je nachdem, wen man fragt. Und genau das macht es schwierig – für Konsumenten wie für Behörden.

    Richtig kompliziert wird es bei den Cannabis-Clubs. Die dürfen zwar anbauen und abgeben, aber nur unter einer langen Liste an Bedingungen. Wie genau dokumentiert werden muss, welche Abstände einzuhalten sind, welche Behälter zur Lagerung taugen – vieles davon ist nicht einheitlich geregelt. Was in München reicht, kann in Mainz schon zum Problem werden. Von bundesweiter Rechtssicherheit sind wir weit entfernt. Stattdessen: ein Flickenteppich aus Auslegungsspielräumen.

    Hinzu kommt die Frage, wo die Grenze zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat verläuft. Der Konsum in der Nähe einer Schule kann ein Bußgeld nach sich ziehen, während die Weitergabe eines einzigen Joints an einen Freund als unerlaubte Abgabe gilt – mit strafrechtlichen Folgen. Die Linie ist schmal, das Risiko, sie zu übertreten, groß.

    Das neue Gesetz verlangt informierte Bürger. Und es verlangt Behörden, die nicht nur kontrollieren, sondern auch erklären können. Noch fehlt beides an vielen Stellen. Was als Fortschritt gemeint war, bleibt in Teilen ein juristisches Minenfeld. Und wer darin unterwegs ist, sollte besser wissen, wo er hintritt.

    5. Auswirkungen auf Justiz und Gesellschaft

    Die Idee, Cannabis nicht länger strafrechtlich zu verfolgen, ist mehr als eine gesetzgeberische Geste. Sie verändert Strukturen. In der Justiz. In der Verwaltung. Und in den Köpfen. Was jahrzehntelang kriminalisiert wurde, ist plötzlich erlaubt – zumindest in Grenzen. Das hinterlässt Spuren. Nicht nur im Gesetzbuch, sondern auch im Alltag.

    Für die Justiz bedeutet das: weniger Ballast. Verfahren, die früher routinemäßig eingeleitet wurden – wegen ein paar Gramm zu viel in der Tasche –, sind nun hinfällig. Staatsanwaltschaften und Amtsgerichte bekommen Luft. Keine Anzeigen mehr wegen Bagatelldelikten, keine Aktenberge voller Einstellungsverfügungen. Wer Justiz ernst nimmt, weiß: Genau hier beginnt echte Entlastung.

    Auch die Polizei kann sich den wirklich relevanten Delikten zuwenden. Statt Konsumenten auf Parkbänken zu durchsuchen, bleibt mehr Zeit für echte Bedrohungen – von Wohnungseinbrüchen bis zu organisierter Kriminalität. Die Prioritäten verschieben sich. Und das ist gut so.

    Anders sieht es auf kommunaler Ebene aus. Die Städte und Landkreise müssen jetzt genehmigen, kontrollieren, beraten. Cannabis-Clubs prüfen, Abstandszonen überwachen, Bußgelder verhängen. Vieles davon war bislang Neuland. Und nicht jede Behörde war darauf vorbereitet. Es fehlt an Personal, an Erfahrung, an klaren Abläufen. Das Gesetz ist schneller als die Verwaltung. Keine neue Erkenntnis, aber in diesem Fall besonders spürbar.

    Doch vielleicht am folgenreichsten ist der kulturelle Wandel. Wer kiffen will, muss nicht mehr mit einem Bein im Gefängnis stehen. Das verändert das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Weg vom Verdacht, hin zur Eigenverantwortung. Wer sich an die Regeln hält, ist kein Fall mehr für Polizei und Justiz – sondern einfach ein erwachsener Mensch, der eine legale Substanz konsumiert.

    Diese Normalisierung mag manchem unbequem sein. Aber sie ist überfällig. Und sie macht sichtbar, wie willkürlich manche gesetzliche Grenzziehung in der Vergangenheit war. Alkohol war legal, Cannabis verboten – obwohl die Risiken vergleichbar sind. Mit dem neuen Gesetz beginnt die politische Realität endlich, dem gesellschaftlichen Empfinden zu folgen. Und das ist ein Fortschritt, den man ruhig ernst nehmen darf.

    Quelle: hanfverband.de

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